Bildprojektion und Unbewusstes

Nochmals dasselbe Bild und jetzt ein Ausschnitt daraus. Ein Blick in die Tiefe des Grabens. Sieht das freigelegte und abgeschnittene Wurzelwerk rechts nicht einer Echse ähnlich? Oder sehen Sie sonst noch etwas, was Sie in das Bild als Bedeutung hineinprojizieren?
Ich habe diese Fotografie gemacht, weil mich aus der Grube heraus etwas - jemand - angeschaut hat und zwar eine bärtige, männliche Figur mit Knollennase und Russenmütze. Der Mann mit weissem Bart wirkt irgendwie aristokratisch-fürstlich. Und vielleicht wurde nach ihm gegraben? Sicherlich nicht - denn es handelt sich um nichts anderes als eine Projektion. Nur um meine?
Es gibt nicht nur ein unüberschaubares Universum an Bildern (allein an Fotografien bereits), sondern auch ein unergründbares Reservat an eigenen Bildmotiven, von denen die meisten wohl unbewusst sind. Und damit stossen wir an zwei Grenzen der Bildkompetenz. Einenteils springen mich Bilder an (oder mache ich sie), ohne genau dass ich genau weiss , warum. Oder sie lassen mich (aber andere nicht) kalt. Es mag Wege geben, solche Bilder (analog zu Träumen) zu deuten. Hierbei droht jedoch die Gefahr der Rationalisierung: der zwar rationalen aber unmotivierten Zuschreibung einer Bedeutung.
Aby Warburg, der Hamburger Kunsthistoriker und Begründer der Ikonologie, siedelt das Bildermachen zwischen den Polen der Orgiastik und der Sophrosyne an. Orgiastische BiIder sind irgendwie Bewältigungsbilder: Pathosformeln. Aber die Bilder können auch Teil eines distanzschaffenden Denkraums der Sophrosyne sein. Die magische Wirkung vieler Bilder und Bildwelten lässt sich in Formeln der Bildkompetenz nicht fassen.
  • Galitz, R. & Reimers, Br. (1995) (Hrsg.) Aby Warburg. Ekstatische Nymphe und trauernder Flussgott. Portrait eines Gelehrten. Hamburg: Dölling und Galitz.